Im Rahmen einer Mobilitätsveranstaltung in St.Gallen konnte ich bei einem Kamingespräch den Ausführungen von Peter Schwarzenbauer folgen. Er war Mitglied des Vorstands der BMW AG und dort bis Oktober 2019 für die Bereiche MINI, BMW Motorrad, Rolls-Royce und Aftersales BMW Group zuständig. Weitere Stationen seiner Karriere waren bei Audi und bei Porsche in den USA.
Schwarzenbauer legte schonungslos offen, wie es aus seiner Sicht um die deutschen Automobilhersteller steht. Hier sind meine Top-3 Erkenntnisse des Abends.
Erkenntnis Nummer 1: die Transformation in der Automobilindustrie
„Transformation ist einfach, wenn ein Unternehmen mit dem Rücken zur Wand steht,“ so Schwarzenbauer. Aus seiner Sicht war es in seiner Zeit bei allen OEMs schwierig, Mehrheiten für komplexe Transformationsentscheidungen zu finden. „Man braucht eine sehr dicke Haut, wenn man in Großunternehmen Transformation vollziehen will.“
Audi hätte vor BMW bereits Carsharing anbieten können
Er habe beispielsweise bei Audi angefangen, das Thema Mobilitätslösungen voranzutreiben, doch leider wurden viele neue Themen eingestellt. Ein Beispiel: lange vor der Gründung von DriveNow bei BMW existierte bei Audi ein Konzept zum Thema Carsharing. Leider stand man in Ingolstadt bei diesem Thema dann aber auf der Bremse, dabei wäre Audi der erste Anbieter gewesen, der in Deutschland Carsharing besetzt hätte.
„Ich wollte eigentlich immer zur NASA,“ Peter Schwarzenbauer.
Erkenntnis Nummer 2: Die Fortschritte bei der urbanen Mobilität
„Es bleibt festzuhalten, dass kein OEM die urbane Mobilität alleine lösen wird können.“ Das Problem ist aus Sicht von Schwarzenbauer, dass jeder Beteiligte an Mobilitätsprozessen in seinen eigenen Silos denke. Schon früh habe er mit Scooter-Herstellern oder Vertretern des ÖPNV in München gesprochen, aber allen fehlte damals der Wille, Lösungen gesamtheitlich anzugehen. „Schauen Sie mal nach München: die kriegen gar nichts geregelt – jeder machte dort seinen eigenen Stiefel.“ Anderes war die Situation in Hamburg, noch zu Zeiten von Olaf Scholz. Der habe gefragt, was man denn brauche und dann habe er seine Mitarbeiter beauftragt, Mobilitätslösungen umzusetzen.
München lehnte Fahrradhighway ab
Dazu ein weiteres Beispiel: noch zu seiner Zeit als BMW Vorstand habe man der Stadt München vorgeschlagen, für die ca. 10.000 BMW Ingenieure im Norden von München (und die weiteren 10.000 Mitarbeiter von Zulieferern) einen Fahrradhighway zu bauen, aus BMW eigenen Mitteln. Abgelehnt! Kann man mal machen, denke ich mir.
An dieser Stelle schwenkte sein Blick auf die deutsche Bundespolitik. 70% der Bevölkerung könne man begeistern, wenn man mal ein echtes, ehrliches Bild der Mobilität zeichnen würde. Doch in der Politik seien keine Fachleute präsent, die diese Herausforderungen der Mobilität der Zukunft angehen könnten. Mehr Menschen mit Fachwissen in die Politik, ein frommer Wunsch in Zeiten aktueller Regierungsbildung?
Erkenntnis Nummer 3: Mit weniger Autos kann man mehr Geld verdienen
Schwarzenbauer machte unmissverständlich deutlich, dass die OEMs nach wie vor auf falsche Anreizsysteme für ihre Vertriebsmitarbeiter setzten. Es gehe nicht mehr darum, immer mehr Autos in den Markt zu drücken, sondern sich ganz ehrlich die Frage zu stellen, wie mit weniger Autos mehr Geld verdient werden könne. „Die Lösung dafür sind Mobilitätsangebote, die dem Kunden Fahrzeuge minuten- oder stundengenau zur Verfügung stellen und abrechnen“. Die Technologie dafür existiert.
Ursprünglich habe die Autoindustrie damit begonnen, Autos in bar zu verkaufen. Dann kamen die Finanzierungs- und Leasingwelle, der Premiummarkt profitierte davon am meisten und schon explodierten in dieser Zeit der Absatzzahlen. Gerade in den letzten Jahren haben die Absatzerfolge in China den Blick auf die Realität ‚vernebelt‘.
Ein Blick auf die Flugzeugindustrie
Wir erreichen mehr Menschen und machen die Fahrzeuge weltweit jedem zugänglich, wenn wir sie im Sharing anbieten und „ich glaube, dass wir aus diesem einen Pkw dann auch deutlich mehr (Deckungsbeitrag) rausholen können.“ Ganz nebenbei sorgt ein solches Teilen von Fahrzeugen auch für eine sinnvollere, urbane Auslastung und ist dabei wesentlich umweltfreundlicher.
Schwarzenbauer folgt insofern dem Ansatz der Flugzeugindustrie. „Wir sollten die Autos wie Flugzeuge länger nutzen. Wenn wir einen Pkw 20 Stunden pro Tag nutzen, dann müssen wir ihn reinigen und vielleicht sogar den Innenraum häufiger auffrischen. Und genau das könnte eine ertragreiche Aufgabe für den heute so profitablen ‚After Sales Service‘ der OEMs sein. Damit ließen sich drohende Umsatzverluste aufgrund der niedrigeren Stückzahlen an Fahrzeugen auffangen. Für Schwarzenbauer ist die Autoindustrie im Überlebenskampf. Aus seiner Sicht „wird sie es schaffen,“ auch wenn sie derzeit noch zu langsam unterwegs ist.
Mein Fazit dieser Top-3 Erkenntnisse
Die anstehende Transformation der Automobilindustrie, die Elektrifizierung, ein dramatischer Chipmangel und die Herausforderungen des Klimawandels beschleunigen den Wandel von BMW, Mercedes-Benz, VW, Audi und Co. Hinzu kommt die Herausforderung, dass immer weniger junge Menschen tatsächlich einen eigenen Pkw ihr Eigentum nennen wollen. Schwarzenbauer hat diese Punkte erkannt und legte den Finger in die ein oder andere Wunde an diesem Abend.
Dennoch habe ich bei dem Ex-BMW Manager den letzten Willen vermisst, diese Transformation auch wirklich umsetzen zu wollen. Sicher, er steht nun auch nicht mehr in der täglichen Verantwortung. Aber gerade dann wäre er mit seinen Insights ein echter Kandidat, diesen Wandel stärker zu fordern, oder sogar mit zu gestalten. Es bleibt an diesem Abend für mich die Frage offen, ob in den Chefetagen der deutschen OEMs diese Erkenntnisse auch so deutlich bekannt sind und wie stark tatsächlich der Wille zum Wandel dort ist. Ich jedenfalls habe nach dem heutigen Kamintalk meine ernsten Zweifel.
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Der Kamintalk fand im Rahmen des CAS Smart Mobility Management Kurses der HS St.Gallen statt, im Interview an der Seite von Peter Schwarzenbauer ist Dr. Hans-Peter Kleebinder. Mehr zum Kurs findet ihr hier.