Nachfolgend dürfen wir den Inhalt eines White Papers publizieren, der zum Thema Nachhaltige Urbane Mobilität 2030 von der gleichnamigen Arbeitsgruppe durch das ITS Germany e.V. entworfen wurde. Wir danken vielmals für diesen Beitrag und denken, dass die sehr umfangreichen Ideen einen guten Überblick zu den derzeitigen Herausforderungen an alle stakeholder in Urbaner Mobilität darstellen.
Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass die Inhalte dieses Beitrages nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers des eMobilität Blogs widerspiegeln. Wir bringen die Inhalte des White Papers, da wir eine Meinungsvielfalt auf unserem Blog willkommen heißen und damit zu einer Diskussion rund um die Urbane Mobilität beitragen wollen.
White Paper: Nachhaltige Urbane Mobilität 2030 – ITS Germany e.V.
1. Ziel des Dokuments
Ziel dieses Dokuments ist es, sinnvolle und zielführende Ansätze zur Bewältigung von aktuellen und zukünftigen Herausforderungen in der kommunalen Mobilität sowie deren Chancen aufzuzeigen.
Im Detail werden, die Herausforderungen, denen sich Kommunen bei der Gestaltung der urbanen Mobilität gegenüber sehen, analysiert. Im Folgenden werden heutige und zu erwartende zukünftige Entwicklungen beschrieben. Auf dieser Grundlage werden relevante und gangbare, kommunale Lösungsansätze aufgezeigt.
Dabei wird ein Zeithorizont von ungefähr 10 Jahren, also bis ca. 2030, betrachtet.
2. Aktuelle Herausforderungen
Die Herausforderungen, denen die urbane Mobilität aktuell gegenüber steht, sind vielfältig. Eine florierende Wirtschaft mit ansässigen, starken Wirtschaftsbetrieben stellt eine wichtige Grundlage für das Funktionieren einer Kommune dar. Diese Betriebe sind nicht nur als Gewerbesteuerzahler, sondern auch als Arbeitgeber umworben. So nimmt der kommunale Wettbewerb als Wirtschaftsstandort weiter zu. Ein wichtiger Faktor im Standortwettbewerb der Kommunen ist die gebotene Lebensqualität mit Aspekten wie Umwelt, Naherholung, aber auch Mobilität.
Individualverkehr
Die Auswirkungen des motorisierten Individualverkehrs auf die urbane Ökologie und Ökonomie sind heute signifikant. Durch ihn verursachte Staus belasten nicht nur die Umwelt sondern schränken in zunehmendem Maß die Mobilität der Bürger signifikant ein. Aber nicht nur der (meist nicht) fließende, sondern auch der ruhende Verkehr belastet in vielen Großstädten die Lebensqualität.
Lange Zeit hat man gehofft, dass der Fortschritt der Pkw-Antriebstechnik die kommunale Schadstoffbelastung signifikant reduziert. Diese Einschätzung muss aber spätestens nach den Enthüllungen des „Dieselskandals“ relativiert werden.
Heute werden vielerorts die Hoffnungen auf den Wandel hin zur Elektromobilität gelegt. Hierbei bleibt abzuwarten, wie schnell sich die infrastrukturellen Voraussetzungen, wie ein flächendeckendes Netz von Ladesäulen, hierfür schaffen lassen. Aber selbst wenn die Ladeinfrastruktur in ausreichender Verfügbarkeit vorhanden ist, müssen weitere Maßnahmen die Marktakzeptanz von Elektrofahrzeugen unterstützen.
Der Austausch von Antriebstechnologien allein ändert jedoch nichts an den durch überhöhtes Aufkommen im MIV verursachten Mobilitätseinschränkungen durch Staus.
Zusätzlich muss festgestellt werden, dass der dem Individualverkehr zur Verfügung gestellte öffentliche Straßenraum von allen Bürgern pauschal über Steuern und Abgaben finanziert wird. Im Gegensatz dazu ist der ÖPNV größtenteils nutzerfinanziert, und ein Ausbau der Infrastruktur ist weitgehend abhängig von den dadurch generierten, zusätzlichen Finanzmitteln. Dadurch sind die Kosten der Nutzung der kommunalen Straßen-Infrastruktur durch den MIV, im Vergleich zum ÖV, unangemessen niedrig. Dies führt zu einer Bevorzugung des MIV als Mobilitätsmodus.
Sharing Economy
Auf privat organisierter Basis werden Fahrgemeinschaften (Neudeutsch: Ride-Sharing) immer beliebter. Aber auch kommerzielle Angebote der „Sharing-Industrie“ erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Hierzu zählen unter anderem Sharing-Angebote für Autos (Car-Sharing), Motorroller (Scooter-Sharing), Fahrräder (Bike-Sharing) oder neuerdings Elektro-Tretroller.
Finanzierung
Der Leistungskatalog der deutschen Kommunen ist umfangreich, was in einen beschränkten finanziellen Spielraum mündet. Tatsächlich drückt bereits heute eine enorme Schuldenlast auf eine typische Kommune, weshalb Investitionen in eine Verbesserung der urbanen Mobilität zum Beispiel durch kurzfristig höhere Fahrgastzahlen im ÖPNV refinanziert werden müssen. Da jedoch Infrastrukturmaßnahmen eine lange Vorlaufzeit von oft mehr als 10 Jahren benötigen, lassen sich kurzfristige Effekte nur anhand von Potentialanalysen abschätzen. Diese sind typischerweise von Projektgegnern leicht angreifbar.
Darüber hinaus ist die Verteilung der Abgabenlast der einzelnen Mobilitätsmodi nicht ausbalanciert. Kraftfahrzeuge werden zum Beispiel durch die Kfz-Steuer pauschal besteuert, also unabhängig von der tatsächlichen Nutzung. Durch die Energiesteuer wird der Verbrauch an Mineralöl, also indirekt die Fahrleistung und die Energieeffizienz der Fahrzeuge, besteuert. Jedoch lässt auch diese Steuer außer Acht, wann und wo die Fahrzeuge unterwegs sind. Ein Fahrzeug, das in der Stadt unnötige Staus verursacht, wird also genau so besteuert, wie eine notwendige Fahrt in dünnbesiedelten Gebieten ohne ausreichendes-ÖPNV Angebot.
Im Gegensatz dazu wird dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) abverlangt, nahezu kostendeckend zu arbeiten. Typischerweise wird jede Fahrt einzeln abgerechnet und nur im Bereich von Zeitkarten stehen pauschale Angebote zur Verfügung. Darüber hinaus werden die Angebote des öffentlichen Verkehrs – sofern sie überhaupt finanzierbar sind, konstant durch Industrie, Politik, Medien und Bürger auf Sinnhaftigkeit und Effizienz überprüft. Dadurch unterliegen solche Maßnahmen einem enormen Rechtfertigungsdruck.
Als Resultat ist die individuelle Nutzung des öffentlichen Straßenraums, besonders der urbanen Straßenflächen, im Vergleich zur Nutzung des öffentlichen Verkehrs zu billig. Dies beeinflusst die Wahl des Verkehrsmittels in vielen Ballungszentren und führt zu einer Benachteiligung des nachhaltigen ÖPNV.
Betriebliche Mobilität
Für Kommunen ist es genauso relevant, dass sich viele Arbeitgeber bereits heute fragen, wie die betriebliche Mobilität zukünftig aussehen wird. Begriffe und Fragestellungen, die dabei diskutiert werden sind zum Beispiel: Elektromobilität, Sharing, Autonomes Fahren, Autonomes Liefern, Ladesäulen, Fahrräder, Mobilitätsbudget und viele andere. Viele Unternehmen versuchen sich so bereits heute für eine klimaneutrale Mobilität zu positionieren.
3. Digitalisierung der Mobilität
Eine weitere Herausforderung erwächst den Kommunen durch die rasant und disruptiv voranschreitende Digitalisierung der Mobilität.
Plattformen
Bereits heute ist der Zugang zu Mobilitätsangeboten wie Car-Sharing oder den Öffentlichen (Nah) Verkehr für viele Bürger digital über Apps oder das Internet weit verbreitet. Viele Kommunen und deren Verkehrsbetriebe haben sich mit kommunalen Mobilitäts-Apps bereits auf die Notwendigkeit des digitalen Zugangs zur Mobilität eingestellt. Jedoch dominieren vielerorts die Informationszugänge von großen internationalen Plattformen wie Google oder Apple oder Start-ups, die wie zum Beispiel „Waze“ von den Plattformen übernommen werden.
Durch die Digitalisierung entstehen jedoch auch weitere neue Geschäftsmodelle und daraus resultierende Applikationen. Deren Auswirkungen auf Kommunen und die kommunale Mobilitätsinfrastruktur sind teilweise nur schwer und unzureichend zu steuern. Ein Beispiel hierfür sind Bike-Sharing und neuerdings Tretroller-Sharing Dienste häufig asiatischer Anbieter, deren Fahrzeuge bereits in vielen Großstädten öffentlichen Verkehrsraum und Bürgersteige versperren. Bei insolventen Unternehmen müssen Kommunen teilweise die obsoleten Räder entfernen. Eine Rückerstattung der Kosten aus der Insolvenzmasse ist nahezu unmöglich.
Auch der Kauf und die Bezahlung von Mobilitätsdienstleistungen werden zunehmend digital abgewickelt. Im Moment sind Verkehrsbetriebe und Verkehrsverbünde noch vor kommerzieller (z.B. ausländischer) Konkurrenz geschützt. Es ist aber unklar wie sich die Marktsituation ändert, wenn dieser Schutz (i.e. das Vertriebsmonopol) zum Beispiel von der Europäischen Kommission außer Kraft gesetzt wird. Es ist zu befürchten, dass die oben angesprochenen Plattformen zunehmend Bezahlfunktionen in ihre Informationsangebote integrieren und so den Kundenzugang und somit auch die Kontrolle über Produktpreise und das kommunale Verkehrsangebot (i.e. ÖPNV) übernehmen. Dies steht jedoch in deutlichem Gegensatz zur kommunalen Daseinsvorsorge und dem begründeten politischen Gestaltungsanspruch.
Mobilitätsmanagement
Die dritte disruptive Auswirkung der Digitalisierung zeigt sich beim Mobilitätsmanagement. Die Steuerung von Verkehrsflüssen des Individualverkehrs wie auch die Steuerung des straßen- wie schienengebundenen öffentlichen Verkehrs ist bereits heute weitgehend automatisiert und digitalisiert. Die hier ruhenden Potentiale sind jedoch weitgehend noch nicht gehoben. Unter Anderem könnten die Möglichkeiten, die sich aus den aus der Infrastruktur (Sensoren) gewonnenen Daten ergeben, in viel stärkerem Maß zur Verbesserung der Mobilität genutzt werden.
Parken
Bereits heute werden vielerorts Parkgebühren digital mit Hilfe von Smartphones abgerechnet und bezahlt. ITS Germany und sein Vorgängerverband TelematicsPRO haben bereits im Jahre 2003 die erste Plattform für diese „Smart-Parking“ Technologie in Wien in den Wirkbetrieb gestellt. Die Einführung in der Bundesrepublik erfolgte 2005 mit dem Start der Plattform in Berlin. Heute wird diese Plattform bereits in mehr als 80 Kommunen erfolgreich eingesetzt. Im Schnitt werden aktuell mehr als 40.000 Parktransaktionen täglich über die Plattform abgewickelt. In manchen Kommunen beträgt der Anteil der Parkgebühren, die über die Plattform abgerechnet werden bereits mehr als 50%. Die Tendenz bei beiden Kennzahlen ist dabei stark steigend.
Öffentlicher Verkehr
Im Öffentlichen Nahverkehr ist ebenso eine klare Tendenz zur Digitalisierung zu beobachten. Diese beschränkt sich nicht nur auf den Informationszugang und die Bezahlung, sondern auch auf die Abrechnung und den Informationsaustausch zwischen Verkaufsgeräten (Fahrscheinautomaten, Fahrerverkaufsgeräte oder Smartphones) und Hintergrundsystemen. ITS Germany unterstützt die „eTicket Deutschland“ Aktivitäten des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) durch seine „HUSST“ Initiative. Diese Herstellerunabhängigen Standard Schnittstelle ermöglicht einen flexiblen, herstellerunabhängigen Aufbau von ÖPV-Vertriebssystemen.
Zukünftig werden die einzelnen Verbundgebiete mit Hilfe einer zentralen Abrechnungsstelle vernetzt, sodass vermehrt verbundübergreifende Reisewege einfach und einheitlich bezahlt werden können. Auch diese Harmonisierungs–aktivitäten stellen deutsche Kommunen und Verkehrsverbünde vor neuartige Herausforderungen.
4. Absehbare zukünftige Entwicklungen
Über die aktuellen Herausforderungen und Entwicklungen hinaus ist es abzusehen, dass sich die urbane Mobilität weiter, und nicht nur im Zuge der weiteren Beschleunigung der Digitalisierung, grundlegend verändern wird.
Verkehrsmanagement und „Mobility as a Service“
Zum einen werden sich die oben bereits erwähnten Zugangs- und Bezahldienste weiterentwickeln. Diese Tendenz zu integrierten, übergreifenden Plattformen, die Planung der persönlichen Mobilität sowie der Buchung und Bezahlung der Mobilitätsdienste beinhalten, ist bereits heute in Ansätzen erkennbar. Es ist abzusehen, dass diese zukünftig Mobilität als Dienstleistung (Mobility as a Service; MaaS) flächendeckend anbieten und somit Mobilitätsströme organisieren und leiten. Durch diese Entwicklung wird die politische Gestaltunghoheit der Kommunen zumindest in Frage gestellt.
Die kommunalen Verantwortungsträger sind somit gefordert, die grundlegenden Rahmenbedingungen zu schaffen um das Verkehrsmanagement auch zukünftig in die Lage zu versetzen, die kommunale Planungshoheit zu behalten.
KEP-Dienste
Zum anderen schafft der weiter zunehmende urbane Lieferverkehr zunehmenden Druck auf Kommunen und KEP-Dienste (Kurier-, Express- und Postdienste). Diese forschen mit ihren Partnern bereits intensiv an alternativen Lieferkonzepten. Die Ansätze reichen dabei von neuen Hub-Modellen bis hin zu autonomen Lieferrobotern und der Lieferung durch Paketdrohnen. Aber auch Elektrofahrräder und die Elektromobilität werden betrachtet. Dabei sind manche Projekte längst über ein Planstadium hinaus fortgeschritten. Vielen dieser Konzepte wird großes Potential zur Reduktion von Schadstoffbelastung und Mobilitätseinschränkungen bescheinigt. Deren Umsetzung kann aber nur in enger Abstimmung mit den Kommunen erfolgen.
Regulierter Stadtzugang
Zur Bekämpfung von Verkehrsüberlastung und Schadstoffbelastung setzen bereits heute viele Kommunen auf eine Regulierung des Stadtzugangs. Während in Deutschland die ersten selektiven Fahrverbote (d.h. auf einzelnen Straßenabschnitten und für bestimmte Fahrzeugtypen wie Dieselfahrzeuge) umgesetzt werden, setzen andere europäische Kommunen auf marktwirtschaftliche Modelle.
Anstatt den Stadtzugang für bestimmte Fahrzeugklassen komplett zu verbieten, werden Stadtzugangsgebühren – vor allem für innerstädtische Bereiche – erhoben. Diese können nach Schadstoffausstoß des Fahrzeugs und aktueller Verkehrsbelastung der Innenstädte (Tageszeit) variiert werden. Ein solches System vermeidet den kompletten Ausschluss einzelner Fahrzeugklassen und ist somit gerechter. Zusätzlich können die so generierten Mittel anderen Verbesserungen der Mobilitätsinfrastruktur zugutekommen.
Exemplarisch wurde dieses Vorgehen in London umgesetzt, wo TfL (Transport for London) komplett für die Organisation der urbanen Mobilität zuständig ist und die Einnahmen der „Congestion Charge“ für sinnvolle Verbesserungen der Mobilitätsinfrastruktur (zum Beispiel Radinfrastruktur, Fußgängerverkehre und den Öffentlichen Nahverkehr) einsetzt.
In Deutschland wird oft argumentiert, dass solche Systeme politisch nicht durchsetzbar seien. Als Alternative zur Verkehrsreduktion durch Stadtzugangssysteme wird oft die Beschränkung des öffentlichen Parkraums genannt. Bereits heute resultiert mehr als 30% der urbanen Verkehrsbelastung aus Parkplatzsucherverkehren. Es kann also nicht angenommen werden, dass die Verknappung des Parkraums und eine dadurch generierte Zunahme des Parkplatzsuchverkehrs zu einer Reduzierung der kommunalen Verkehrsbelastung beitragen werden.
Mangels Umsetzungserfahrungen sind Vorhersagen zur politischen Akzeptanz und Durchsetzbarkeit von Stadtzugangsgebühren spekulativ. Jedoch zeigt die Erfahrung in europäischen Städten, dass es tatsächlich vielerorts vor der Einführung eine Mehrheit gegen solche Maßnahmen gab. Jedoch kann festgestellt werden, dass in keiner Kommune solche Systeme auf Druck der Bevölkerung dauerhaft wieder abgeschafft werden mussten. Im Gegenteil, in allen Städten, in denen Stadtzugangsgebühren eingeführt wurde, begrüßt heute eine deutliche Mehrheit diese Maßnahmen.
Autonomes Fahren
Zukünftig müssen sich Kommunen auch mit den Auswirkungen des autonomen Fahrens auseinandersetzen. Es wird zwar momentan kontrovers diskutiert, in welchem Zeithorizont autonome Verkehre im urbanen Umfeld eine signifikante Rolle spielen werden. Unbestritten ist jedoch, dass autonome Verkehre im urbanen Umfeld einen wichtigen Verkehrsträger darstellen werden. Deren Auswirkungen reichen von Anpassungen der urbanen Straßeninfrastruktur über Fragestellungen der Verkehrslenkung bis hin zur Verfügbarkeit von detaillierten Informationen zu Fahrzeugpositionen, -geschwindigkeiten und –zuständen.
5. Lösungsansätze
Deutlich wird dies zum Beispiel an Maßnahmen, die Nutzung der öffentlichen Verkehre stärken. So wird unter anderem vielerorts das Angebot an „Park+Ride“ Stellplätzen ausgebaut und attraktive Kombitarife angeboten. Zum Teil wird auch die Zonenstruktur in Verkehrsverbünden vereinfacht. So profitieren Fahrgäste vom einfacherem und verzahnten Mobilitätszugang und reduzierten Mobilitätskosten.
Die Vielzahl von Herausforderungen und Entwicklungen der urbanen Mobilität sowie die Diversität der heutigen und zukünftigen kommunalen Rahmenbedingungen erfordern individuelle, auf die kommunalen Gegebenheiten zugeschnittene Mobilitätskonzepte. Um die Herausforderungen zu meistern, ist es notwendig, alle relevanten Entwicklungen nachhaltig in diese Konzepte einzubinden.
ITS Germany und seine Mitglieder sind sich der Komplexität der Aufgabe sehr bewusst. Um detaillierte Lösungsansätze zu erarbeiten und zu bewerten, hat ITS Germany mit seinen Mitgliedern aus den Arbeitsbereichen „Daten“, „Mobility Pricing“, „Ticketing im ÖV“ und „Parken“ die Initiative „Nachhaltige Stadtverkehre 2030“ ins Leben gerufen.
Urbane Mobilität ist ein knappes Gut und muss ganzheitlich betrachtet werden. Das bedeutet, dass nicht eine spezifische, sondern nur eine Kombination von Maßnahmen Erfolg verspricht.
Vielfach zeigen sich diese Effekte auch in der Umsetzung von kommunalen Mobilitätsprojekten. Die meist vorhandene Vielzahl von Ansprechpartnern erschwert ein kohärentes Projektmanagement oder verunmöglicht dieses sogar.
Es ist deshalb angezeigt, alle Verantwortlichkeiten der urbanen Mobilität in einer Verwaltungs- und Entscheidungsstruktur, wie zum Beispiel in einem für alle kommunale Mobilitätsaspekte zuständigen Mobilitätsmanager, zusammen zu fassen. Der Erfolg einer solchen Bündelung wurde bereits in London erfolgreich demonstriert, wo die Behörde „Transport for London“ die Gesamtverantwortung für die urbane Mobilität besitzt. Sie berichtet direkt dem „Mayor of London“ also dem (Ober-)Bürgermeister der Stadt.
Diese Bündelung der Zuständigkeiten muss aber zwingend mit dem politischen Willen unterfüttert sein, die Mobilität in ihrer Gesamtheit zu betrachten und die geschaffene Funktion mit den entsprechenden Kompetenzen auszustatten.
Konkrete Maßnahmen in der urbanen Mobilität sind vor allem in den folgenden Kategorien anzusiedeln:
- Push Maßnahmen sind Schritte, die geeignet sind, die Voraussetzungen für eine intelligente urbane Mobilität zu schaffen oder solche, die gewolltes Verhalten belohnen und nicht gewolltes Verhalten sanktionieren. Die ersteren umfassen vor allem die Anpassung von Infrastruktur, während die letzteren Maßnahmen wie Fahrverbote beinhalten. Hierbei muss bedacht werden, dass Verbote und Sanktionen als Gängelung der Bevölkerung wahrgenommen werden können. Deshalb sollten solche Maßnahmen nur sehr dosiert eingesetzt werden.
- Pull Maßnahmen ermöglichen dem Bürger die eigenen freien Entscheidungen so zu treffen, dass diese im Einklang mit den gemeinschaftlichen kommunalen Zielvorgaben stehen. Hierzu zählen unter anderem eigene kommunale digitale Zugänge zur Mobilität, wie Smartphone-Apps, eine verbesserte Information der Bürger über alternative, bessere Angebote oder Informationen über die ökologischen Auswirkungen der eigenen Mobilität und die Preisgestaltung der Angebote. Unter den Pull Maßnahmen sticht vor allem eine nachfrageorientierte Nutzerfinanzierung aller Verkehrsmodi als Alternative zu Push Maßnahmen wie Fahrverbote heraus. Dies sollte als eine Kombination folgender Umsetzungen heraus:
- Eine „Pay-Per-Use“ Abrechnung für den Stadtzugang des motorisierten Individualverkehrs (MIV). Hierzu wurden, wie oben beschrieben, bereits Stadtmaut-Systeme in vielen europäischen und außereuropäischen Städten erfolgreich umgesetzt. Andere Schemata wurden als Nahverkehrsabgabe vorgeschlagen. Hierbei wird der Stadtzugang wie eine Fahrt mit dem ÖPNV behandelt. Es muss also für die Einfahrt mit einem Pkw in den Stadtbereich eine Fahrkarte für den ÖPNV erworben werden. Dies wird momentan vor allem für die Städte Stuttgart und in Münster diskutiert. Beide Varianten haben Vor- und Nachteile. Dokumentiert die Nahverkehrsabgabe die Gleichwertigkeit der Mobilitätsmodi ÖPNV und MIV, kann sie nicht nach Schadstoffausstoß des Fahrzeugs gestaffelt und damit entsprechend der Umweltbelastung gestaffelt werden, was jedoch sinnvoll und ökologisch gerecht wäre.
- Die durch die Abrechnung des Stadtzugangs des MIV generierten Finanzmittel können und sollten zur Finanzierung der Angebotsverbesserung der anderen Verkehrsmodi verwendet werden. Die positiven Auswirkungen einer solchen Querfinanzierung demonstriert TfL in London bereits seit mehr als 15 Jahren mit einem durch die „Congestion Charge“ finanzierten massiven Ausbau der Fußgänger- Rad- und ÖPNV-Angebote und der daraus resultierenden signifikanten Verbesserung der Aufenthalts- und Lebensqualität im Stadtzentrum.
- Regulatorische Maßnahmen sind notwendig um die Rahmenbedingungen für kommerzielle Angebote zu schaffen und um potentielle unerwünschte Nebeneffekte, wie zum Beispiel bei manchen heutigen Radleihsystemen, zu verhindern.
6. Schlussfolgerungen
Technologische wie auch gesellschaftliche Entwicklungen haben dafür gesorgt, dass sich die Mobilität, speziell die urbane Mobilität, in einem disruptiven Umbruch befindet. Dessen Auswirkungen betreffen besonders die folgenden Bereiche:
- Die Wettbewerbsfähigkeit vieler Kommunen ist durch Lärm- und Schadstoffbelastungen und gerichtlich angeordnete oder angedrohte Fahrverbote signifikant gefährdet.
- Der disruptive, digitale Umbruch der Mobilität gefährdet zusammen mit knapper Finanzlage den politischen Handlungsspielraum vieler Kommunen.
- Gleichzeitig ist die Abgabenlast zwischen den einzelnen Mobilitätsmodi ungleich verteilt. Die Nutzung des öffentlichen Straßenraums ist für den MIV im Vergleich zur Nutzerfinanzierung des ÖPNV zu billig. Dadurch wird der MIV systeminhärent bevorzugt.
Damit sich Kommunen diesen Herausforderungen der Mobilität erfolgreich stellen können, ist eine ganzheitliche Betrachtung der urbanen Mobilität – sowie deren Auswirkungen auf die urbane Ökologie – zwingend notwendig. Kommunale Entscheidungsträger müssen diese Erkenntnis im politischen und administrativen aktiv umsetzten und die Rahmenbedingungen hierfür schaffen. Um die Urbane Mobilität bis zum Jahr 2030 erfolgreich und nachhaltig zu gestalten ist es deshalb notwendig, die Verantwortlichkeiten für die einzelnen kommunalen Mobilitätsmodi zu einer Gesamtverantwortung für die urbane Mobilität zu bündeln.
Die nachfrageorientierte Nutzerfinanzierung bietet eine attraktive Alternative zu Fahrverboten. Für die Ausgestaltung einer solchen Abgabe stehen verschiedene Varianten zur Verfügung. Sie kann also optimal an die lokalen ökologischen, ökonomischen und politischen Gegebenheiten angepasst werden.
Die dadurch generierten Finanzmittel sollten zweckgebunden für die Optimierung der kommunalen Mobilitätsangebote, also für den Ausbau des ÖPNV und zur Verbesserung der Angebote für den Rad- und Fußverkehr eingesetzt werden.
Mit einem solch ganzheitlichen Bündel von Einzelmaßnahmen ist es möglich, die signifikanten Herausforderungen, die der disruptive Wandel der urbanen Mobilität den Kommunen stellt, erfolgreich zu bewältigen.
Ende des Dokuments
Autoren des Papiers
Arbeitsgruppe Intelligente Urbane Mobilität 2030
ITS Germany e.V.
Federführung: Dr. Claus Habiger, Vizepräsident
Vielen Dank für diese Publikation des White Papers.