E-Scooter – was läuft bei uns schief mit den elektrischen Tretrollern?

Nun ist das erste Halbjahr rum, in welchem wir in Deutschland mit den Sharing Angeboten der E-Scooter Anbieter leben dürfen. Ich habe selbst die elektrischen Tretroller mehrfach unter die Lupe genommen, in verschiedenen Städten getestet und versuche deren Nutzbarkeit hier einmal einzuordnen.

E-Scooter Startups: deren Gründer und Investoren gehen gerade durch ein Tal der Tränen

Tja, als Country Manager oder gar C-Level bei den großen E-Scooter Sharing Anbietern wie Lime, Bird, Dott, VOI, TIER oder Circ durchlebt man derzeit alle Facetten des Startup Lebens – an Höhen und Tiefen. Die Wochen vor dem Start nach erfolgter Freigabe der E-Scooter in Deutschland waren sicherlich von hektischen Tagen mit Zulassungen, App-Anpassungen, Markenaufbau, Mitarbeiter-Rekrutierung etc. geprägt. Und dann wurden sie losgelassen die elektrischen Zweiräder – das Ventil wurde geöffnet und in den deutschen Innenstädten breiteten sich die Anbieter der Fahrzeuge rasend schnell aus. Für die Einen ein Segen, für die Anderen eine Plage, gleich einer Flut oder Rattenplage.

Und während wir in den kleineren Städten wie etwa Augsburg (hier mit VOI) nur einzelne Anbieter vorfinden, da stapeln sich in Berlin, Hamburg und München die Fahrzeuge der unterschiedlichsten Sharing Anbieter am Straßenrand. Rechnet man die Fahrzeuge aller Sharing Anbieter in deutschen Städten zusammen, so kommt man locker auf über 75.000 Fahrzeuge, die hier am Start sind. Zu viele, um als Unternehmen nachhaltig damit Erfolg haben zu können. Folglich steht eine Bereinigung dieser E-Scooter Flut an, viele Experten erwarten das Zusammengehen oder einzelne Aufgaben der E-Scooter Sharing Anbieter bereits in den kommenden Wochen.

Bildrechte: Michael Brecht – Jump E-Scooter in Berlin

Wichtige Frage: sind diese E-Scooter Fahrzeuge nun umweltfreundlich, oder nicht?

Für die Gründer und deren Investoren gab es ja in Deutschland keinerlei Vergleichspunkte für den Einsatz dieses neuen Verkehrsmittels. Die US-amerikanischen Feedbacks zu E-Scootern schwankten zwischen sinnvollem Fahrzeug für die letzte Meile und den erschreckenden Verfallsdaten der Fahrzeuge. Durchschnittlich 29 Tage sollten die ersten Modelle der E-Scooter in einigen amerikanischen Städten durchschnittlich nutzbar gewesen sein. Das wäre sowohl für die Business Pläne der Mobility Startups, als auch für die Umweltverträglichkeit des Services eine blanke Katastrophe gewesen. Und ökologisch hätten diese schnellen ‚Verfallsdaten‘ ein Armutszeugnis für die E-Scooter bedeutet. Vielen unter uns kamen die Bilder der Halden an oBike Fahrräder in den Sinn, die sich nach der Insolvenz des Anbieters in den Städten, zum Beispiel in München, aufbauten.

Inzwischen haben die Sharing Anbieter neue Generationen an E-Scooter Fahrzeugen entwickelt und auf die Straße gebracht. Die Anbieter gehen jetzt von mindestens 12 Monaten Nutzungsdauer aus und bauen danach auf einen Abverkauf an private Nutzer. Somit können die elektrischen Fahrzeuge anschließend weiter genutzt werden, ihre Umweltverträglichkeit wird dadurch deutlich verbessert.

Können E-Scooter das Auto oder den ÖPNV ersetzen?

Dabei war doch das erklärte Ziel der E-Scooter Anbieter, mit ihren Fahrzeugen vor allem die Innenstädte von den Autos zu entlasten. Fakt ist: E-Scooter können das nicht – sie sind von der Reichweite und Geschwindigkeit nicht Ersatz für Autos oder ÖPNV, sie sind höchstens deren Ergänzung. Die bisherigen Umfragen der europäischen Anbieter lassen erkennen, dass die E-Scooter als Mobilitätsangebot den Gang zu Fuss oder das Fahrrad ersetzen. Das ist somit also eher kontraproduktiv, denn der Gang zu Fuss ist ökologisch und für die persönliche Fitness die beste Art der Mobilität.

Bildrechte: Michael Brecht – E-Scooter geparkt in Porto

Auf Deutschlands Straßen herrscht der Hass – wem das zu martialisch ist, dem empfehle ich eine E-Scooter Fahrt in Berlin

Kaum einer hatte jedoch vorhergesehen, mit welcher Wucht den E-Scootern in einigen europäischen Städten Kritik entgegenschlagen würde. Ich selbst hatte ja über ein Jahr lang im Süden der Republik mit meinem micro E-Scooter Straßen, Fahrradwege, Innenhöfe, private Wege usw. getestet. Die Reaktionen schwankten in dieser Zeit zwischen Erstaunen bei etwa gleichaltrigen Erwachsenen, leuchtenden Augen bei Kindern und Jugendlichen und einigem Kopfschütteln vor allem von der 60+ Generation.

Heute, wenige Monate nach der Einführung der E-Scooter, werde ich auf dem Fahrradweg angebrüllt, beim Parken der E-Scooter am Rand der Bürgersteige angemacht. Höhepunkt war hier eine Mit-40erin in ihrem SUV, die meinen frisch abgestellten E-Scooter einfach umfuhr, ohne Skrupel und (scheinbar) unbemerkt. Meine Aufzählung könnte so weitergehen. Doch schauen wir uns einmal an, was die Gründe für diese Ablehnung der E-Scooter in Deutschland sein könnten.

Die Gründe für das schwierige Handling der E-Scooter in europäischen Innenstädten

Thema Fahrradwege: Das Problem hier kann nicht nur an der, in Deutschland, mit 20 km/h zu geringen Geschwindigkeit der E-Scooter liegen. Ich hatte das Thema mangelnde Geschwindigkeit bereits in einem meiner ersten Erfahrungsberichte mit den Tretrollern in Deutschland aufgebracht. Schmale Fahrradwege sind in Deutschland leider ein großes Problem, doch selbst im Fahrradland Holland kommt man mit dem deutlichen mehr an Fahrradfahrern und E-Scooter Nutzern miteinander zurecht. In Deutschland regiert der Rüpel, E-Scooter Fahrer gelten als unwillkommener Zusatznutzer der gefühlt knappen Fahrradwege – gerne wird angebrüllt. 

Mangelnde Verkehrsinfrastruktur ist ein Riesenhindernis

Ein zusätzliches Problem stellt die Verkehrsinfrastruktur in den europäischen Städten dar. Pflastersteine sind selbst in trockenem Zustand kein guter Belag für E-Scooter Nutzer. Da weicht der ortskundige Fahrer gerne auf die ebeneren Bürgersteige aus. Fahrradwege werden gerade tagsüber von Lieferfahrzeugen blockiert, das trifft die E-Scooter Fahrer genauso wie die Fahrradfahrer selbst. Und ohne feste Abstellmöglichkeiten werden umgeworfene E-Scooter Fahrzeuge gerne zur Stolperfalle für die Fussgänger. Das sind alles keine guten Voraussetzungen für ein freundliches Miteinander, vor allem wenn der Stresslevel in der Innenstadt aufs Gemüt der Verkehrsteilnehmer schlägt.

Die Tretroller-Fahrzeuge selbst sind auch ein Problem

Neben der unangebracht-langsamen Höchstgeschwindigkeit sind fehlende Blinker für mich eines der Hauptprobleme beim Einsatz der E-Scooter in deutschen Städten. So sehr ich verstehe, dass wir mit möglichst einfachen Fahrzeugen einen hohen Durchdringungsgrad für das Sharing der Tretroller erreichen wollen, so sehr vermisse ich selbst immer wieder die Blinker am E-Scooter. Das Anzeigen des Abbiegens ist zumindest für ungeübte Fahrer einhändig kaum möglich, meist bleibt nur das Heranfahren an den Straßenrand. Mit einem Blinker wäre dieses Dilemma gelöst.

Sind wir fit genug für E-Scooter Fahrten?

Generell stellt sich mir beim Anblick manch neuer Nutzer von E-Scootern auch die Frage, ob wir überhaupt den richtigen Fitnesslevel für die Einführung von Mikromobilität besitzen. Ohne überheblich klingen zu wollen, so empfehle ich den Spaziergang vor einer E-Scooter Fahrt denjenigen, die schnelle Reaktionen auf den leichten Fahrzeugen nicht durchführen können oder wollen.

Mein Fazit nach einem Halbjahr mit den E-Scootern in deutschen Städten

Was einst als Innovation so hoffnungsvoll im Sommer startete, hat sich inzwischen zu einem Fahrzeug für den Nischeneinsatz entwickelt. E-Scooter sind kein sinnvoller Ersatz von Autos im innerstädtischen Verkehr. Ihr Einsatzbereich beschränkt sich im Schnitt auf 1-2 Kilometer Fahrstrecke. Bislang nutzen die E-Scooter Fahrer die Fahrzeuge vor allem in den dicht-befahrenen Innenstädten. Viele der Nutzer sind Touristen, die mit den E-Scootern ihre eigene Reichweite erhöhen können. Das funktioniert überall dort gut, wo wir auf eine gute Wegeinfrastruktur treffen. Am Düsseldorfer Rheinufer, rund um die Außenalster in Hamburg oder eben auf den breiteren gut ausgebauten Fahrradwegen der Städte. Doch das ist leider bislang nur die Ausnahme.

Was mir komplett fehlt in der Beurteilung der E-Scooter als Mikromobilitätstool sind die Einsätze als Ergänzung von ÖPNV auf der letzten Meile. Damit meine ich den Einsatz von der Endhaltestelle von Bus oder Bahn zum eigenen Wohnsitz. Hier wären die kleinen Flitzer aus meiner Sicht perfekt zu gebrauchen. Dank geringem Gewicht und Klapp-Mechanismus lassen sie sich im Bus oder Straßenbahn mitnehmen und dann dort einsetzen, wo bislang kaum individuelle Lösungen existieren. Auf der letzten Meile meines Nachhauseweges.

Hier erhoffe ich mir im kommenden Jahr einen verstärkten Einsatz der E-Scooter. Das gilt sowohl für die Sharing Anbieter, die hier eine sinnvolle Ergänzung aufbauen können. Und das gilt ebenso für die Vermarktung der E-Scooter dank innovativer Modelle an die Privatkunden. Circ bietet beispielsweise seine E-Scooter zum Privatkauf an, mit gleichzeitiger ‚Sharing‘ Nutzung im Familien- oder Freundeskreis. Hier lassen sich digitale Lösungen über die Apps der Anbieter mit privatem Nutzen verbinden.

Ich bin gespannt auf das kommende Jahr. In den anstehenden Wintermonaten haben die Sharing Anbieter auf alle Fälle genügend Zeit, sich auf sinnvolle Lösungen für das nächste Jahr vorzubereiten.

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